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02.12.2020

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Liebe Leserinnen und Leser

Zahnärzte werden gerne aktiv verdrängt. Kein Wunder: Ein Besuch ist meist teuer und tut weh. Dennoch haben wir nach der Lektüre der «New York Times» in der Praxis um die Ecke einen Termin ausgemacht – freiwillig. Denn eine US-Zahnärztin berichtete von massiv mehr kaputten Zähnen seit der Pandemie.

Und Republik-Journalistin Ronja Beck wollte wissen, wie das in Schweizer Mündern aussieht.

Christoph Asper praktiziert seit drei Jahrzehnten in der Zürcher Langstrasse. In den lokalen Kinos wirbt er auch schon mal mit dem Slogan «Gleich um die Ecke wird Ihnen die Fresse poliert».

Beste Voraussetzungen für ein anregendes Gespräch also.

Herr Asper, das ganze Land trägt Maske, und Sie schauen den Menschen jeden Tag in den offenen freien Mund. Macht Ihnen das keine Angst?
Wenn ich die hätte, wäre meine Praxis längst bankrott! Aber ernsthaft, ich bin ja aus einer Zahnarztgeneration, die von Anfang an mit Masken und Handschuhen gearbeitet hat. Ich habe erlebt, wie HIV gekommen ist. Dieses Virus und Hepatitis wurden zum Riesenproblem. Da hatten wir vor allem mit der Gefahr einer Stichverletzung durch die spitzen oder scharfen Instrumente zu tun. Was jetzt bei Covid-19 speziell ist: Alle sprechen von Aerosolen. Wir als Zahnärzte wissen aber schon seit langem, dass die Luft, in der unser Kopf den ganzen Tag drinsteckt, gefährlich ist. Und dass sich die Partikel im ganzen Zimmer verteilen. Deshalb haben wir strengste Hygieneanforderungen seit je. Bei uns in der Praxis ist bisher niemand vom Personal erkrankt. Und wir hatten auch schon einen Patienten, der offensichtlich schwer an Covid-19 erkrankt war.

Ui! Wie kams dazu?
Er hatte einen Riesenabszess, wir mussten eine Wurzelbehandlung einleiten. Hätte ich ihn nicht behandelt, hätte er sein Auge verlieren können. Er litt unter all den bekannten Corona-Symptomen. Am Tag danach teilte er uns mit, er habe soeben ein positives Testresultat erhalten. Wir waren nicht überrascht. Meine Damen zu Hause wollten mich dann eine Weile aber lieber nicht mehr sehen. Ich sass einige Tage in einer Stadtwohnung in freiwilliger Halbquarantäne und hab mich schon ab und zu gefragt: Kratzt jetzt mein Hals? Habe ich etwas Temperatur? Aber alle drei, die mit ihm zu tun hatten in der Praxis, blieben negativ. Ein Zahnarzt, der seriös und hygienisch arbeitet, ist eigentlich auch nicht gefährdet. Ich hab schon im Februar den Leuten gesagt: Der sicherste Ort in Zürich ist unsere Praxis! Ein bisschen hab ich da natürlich geblufft. (lacht)

In der «New York Times» schrieb vor einiger Zeit eine Zahnärztin, sie habe seit Ausbruch der Pandemie so viele kaputte Zähne gesehen wie nie zuvor in den letzten Jahren. Wie sehen die Zähne Ihrer Patientinnen aus?
Ich habe den Artikel in der «New York Times» auch gelesen. Ich würde jetzt nie sagen, dass ich viermal am Tag einen gebrochenen Zahn vor mir hätte. Aber ich habe seit Ausbruch der Pandemie schon vermehrt jungfräuliche Zähne gesehen, die kaputtgegangen sind. Das ist auffällig.

Ein jungfräulicher Zahn ist …?
Ein Zahn, an dem noch nie ein Zahnarzt was dran gemacht hat. Der sollte eigentlich ein Leben lang halten – wenn man nicht gerade auf Metall beisst oder so.

Worauf führen Sie die gebrochenen Zähne zurück?
Ganz klar auf den Stress, den die Leute haben. Gestresste Menschen pressen oder knirschen häufig mit den Zähnen. Was mir seit der Pandemie nun noch viel stärker auffällt als die Zähne, ist, wie sich meine Patienten verhalten. Früher kamen sie und sagten meist, sie hätten da einen Schmerz im Kopfbereich. Jetzt kommen viele und erzählen gleich, dass sie pressen oder knirschen, und sie wünschen eine Schiene. Ich müsste gar keine Diagnose mehr stellen.

Ist Ihr Patientenbuch voller als vor der Pandemie?
Das nicht. Aber ich habe schon gestaunt, wie die Leute nach dem Lockdown direkt freudig gekommen sind, was ja nicht ganz der Norm entspricht. Das hätte ich langsamer erwartet. Grundsätzlich haben wir natürlich schon mehr Aufwand, mit der ganzen zusätzlichen Desinfektion, die sich jetzt durchs Treppenhaus bis zur Türklingel zieht. Wir müssen auch die Termine verlängern, damit genug Zeit zum Lüften da ist. Aber am bestehenden Hygienekonzept mussten wir im Gegensatz zu vielen Branchen nicht viel ändern.

Den ganzen Tag in einer sterilen Umgebung arbeiten, alles ständig desinfizieren – macht das auf Dauer nicht ein bisschen verrückt?
Klar. Im Spital oder im Wartezimmer beim Arzt kommt mir das kalte Grausen. Im Zug würde ich nie ein Geländer anfassen. Da hab ich schon eine Macke, die kommt mit dem Beruf. Aber so schlimm find ich das jetzt nicht. Eigentlich find ichs sogar recht gesund. Nur: Der Umgebung kann man damit schon ganz schön auf die Nerven fallen.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Aus für den Mietzinserlass. Es gibt definitiv keinen Teilerlass von Mietzinsen für Restaurants, Läden und andere öffentlich zugängliche Betriebe, die im Frühjahrs-Shutdown schliessen mussten. Nach dem Nationalrat hat heute auch der Ständerat mit einer bürgerlichen Mehrheit die Vorlage gekippt.

Österreich macht über die Feiertage praktisch dicht. Für alle Einreisenden aus Corona-Risikogebieten verhängt das Land bis zum 10. Januar eine zehntägige Quarantänepflicht; über den Startzeitpunkt laufen noch Verhandlungen. Die Quarantäne soll für alle Nachbarstaaten gelten. Damit will Österreich den Tourismus weitgehend eindämmen.

In Indien gehen die bekannten Corona-Zahlen seit einigen Wochen zurück. Das Land mit 1,3 Milliarden Einwohnerinnen verzeichnete rund 9,5 Millionen bekannte Fälle. Experten warnen jedoch, dass die Zahlen bald wieder steigen könnten, denn seit Tagen demonstrieren Tausende Bauern gegen neue Marktliberalisierungsgesetze. Sie befürchten einen Preiszerfall ihrer Waren.

Ab kommender Woche sollen in Grossbritannien Impfungen beginnen können. Das Vereinigte Königreich hat als erstes Land eine Notfallzulassung für den Biontech/Pfizer-Impfstoff erteilt, so Gesundheitsminister Matt Hancock. Ein Impfkomitee soll entscheiden, wer zuerst geimpft werden soll – aller Voraussicht nach wohl Bewohnerinnen von Alters- und Pflegeheimen und Menschen in Gesundheitsberufen. Es seien genug Dosen bestellt, um 20 Millionen Leute zu impfen. Grossbritannien hat rund 68 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner.

Und zum Schluss: Faxen beim Impfen

In den letzten Tagen erreichten uns viele (gute und kritische) Fragen unserer Verleger bezüglich der Impfung. Auch für uns ist es nicht immer leicht, den Überblick zu behalten. Und auch nicht, die wissenschaftlichen Hintergründe immer im Detail zu verstehen. Wer darin richtig gut ist, sind die Kolleginnen vom Wissenschaftsmagazin «Higgs». So auch in diesem Artikel, den wir Ihnen nicht vorenthalten möchten. Schliesslich wird der Frage nachgegangen, die auch uns immer wieder gestellt wird:

Ist Impfung mit mRNA Genmanipulation?

Der Naturwissenschaftler und Wissenschaftsjournalist Beat Glogger erklärt komplexe Themen verständlich und nachvollziehbar. Er dröselt die wichtigsten Dinge auf, die man wissen muss, um die Impfung zu verstehen.

Was also ist mRNA? Eine Art Botenstoff oder Bauanleitung, so «Higgs». «Sie transportiert die Information eines Gens aus dem Zellkern in den Zellinnenraum.» Dort werde die Information von Zellorganen als Vorlage benutzt, um ein Protein herzustellen. «Es ist vergleichbar mit einem Fax, der aus der Zentrale einer Firma in eine Aussenfiliale geschickt wird, damit man dort ein bestimmtes Werkstück herstellen kann.» Die neue Idee am mRNA-Impfstoff sei, dass man nicht ganze Erreger impfe, sondern nur diese genetische Bauanleitung, erklärt Glogger.

Doch was es weiter mit Spikes, springenden Genen und genetischen Mutanten auf sich hat, lesen Sie am besten drüben bei «Higgs».

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Ronja Beck und Marguerite Meyer

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

PPS: Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Newsletter mit Freundinnen und Bekannten teilten. Er ist ein kostenloses Angebot der Republik.

PPPS: Wie fühlt sich dieses Jahr eigentlich für «die Jungen» an? Die Pandemie betrifft alle Altersgruppen, doch gerade der Balanceakt zwischen jugendlichem Entdeckungsdrang und Solidarität ist eine Herausforderung. Bei «Corona-Jugend: Das gestohlene Jahr» lernen wir Junge kennen, die im Gesundheitswesen arbeiten. Denen das Feiern fehlt. Die jemanden verloren haben. Die versuchen, dieses Dilemma zwischen sozialer Verantwortung und eingeschränkter Freiheit irgendwie zu leben. Die SRF-Kurzdoku kommt authentisch daher. Ein bisschen kritisieren könnte man die wenig diverse Auswahl der Protagonistinnen (eher weiss, eher städtisch). Doch die Doku ist berührend gemacht und lässt einen mit einem optimistischen Grundgefühl zurück: The kids are alright.